Die Feuerschlange sieht man vor allem nachts. Dann zieht sie sich manchmal als kilometerlanges Band über die nahen oder fernen Bergrücken. Es sind die riesigen Buschbrände am Ende der Trockenzeit. Nepal – früher dicht bewaldet mit Dschungel im Tiefland und Hochwälder bis auf 3800 m, steht heute vor einer ökologischen Katastrophe durch die Abholzung. 95 % der Bodenfläche sind durch Erosion gefährdet. Bergrutsche und Landverlust sind die Folge.
Schrecklich also, wenn der wenige Wald, das bisschen Buschwerk solchen riesigen Flächenbränden, der Feuerschlange, zum Opfer fallen. Wie beginnt er denn zu brennen? Durch Zufall oder Achtlosigkeit? Nein, der Wald wird von Bauern angezündet. Manchmal ganz systematisch. Und das bei dem Mangel an Feuerholz für den Herd, dem Mangel an Futterbäumen, dem Mangel an Bauholz für die Häuser! Warum?
Gyan, ein Bauer von Karkigaun, erklärt mir, dass nach dem Abbrennen der Wald viel grüner wird und die Bodenvegetation besser und frischer wächst. Dann kann der Wald ergiebiger beweidet werden. Khim fügt noch hinzu, dass er dort dann Mais anbauen wolle, und das Abbrennen erleichtert das Roden gewaltig.
Tul, ein Händler vom Bergland, erklärt, dass die vielen Kiefernnadeln auf dem Weg die Saumpferde zum Ausgleiten bringen würden, und deshalb würden sie den trockenen Boden immer wieder mal anstecken. Nein, nein, das mache dem Wald nichts aus, sobald der Regen kommt, sei er wieder ganz grün.
Chuna ist Bäuerin in Ailakatia. Sie muss täglich viele Stunden Holz für die Feuerstelle holen. Aber auch sie sieht im Abbrennen kein Problem: im Gegenteil, nach einem Brand gäbe es viel mehr tote Bäume und Fallholz. Das kann dann viel einfacher eingesammelt werden.
Und Hikmat Chhetri, der Ranger, der Regierungsbeamte der regional für den Wald zuständig ist, weshalb tut er nichts? Was soll er schon tun? Klar ist es streng verboten, des Königs Eigentum anzuzünden (denn noch gehört der meiste Wald dem König von Nepal). Aber bislang habe eben noch niemand der Brandstiftung überführt werden können. Na also.
Übrigens: kürzlich hat einer der Königsfamilie einen Parlamentsabgeordneten zur Jagd eingeladen. Und die Jagd ist ja so viel einfacher, wenn der Wald brennt. Dann fliehen nämlich vom Perlhuhn über den Himalaya Hirsch bis zur Jaguar Familie alle einträchtig vor der Feuerschlange – hinein in die Jagdflinten.
Und doch gibt es positive Zeichen: Dort in Daha zum Beispiel gibt es die „Nutzergruppe“, welche gemeinsam ihr Waldstück schützt und aufforstet. Die Regierung unterstützt das aktiv und überschreibt solche Waldparzellen dem Verein. Drüben in Matela hat das ganze Dorf beschlossen, den Wald in ihrer Region vor Feuer zu bewahren und das selber zu überwachen. Es gibt immer mehr Leute, die sich Gedanken über die Zukunft der Wälder – und der Kinder macht.
Von wo kommt dieses neue Reflektieren? Gewiss zu einem wichtigen Teil von der Alphabetisierungskampagne unseres Projektes! Denn der Wald ist ein Thema im Kurs. Und dabei werden eben nicht nur die vier Buchstaben WALD gelernt, sondern auch die Bedeutung, der Sinn des Waldes – für Dich und mich.
Diese Geschichte entstand 1994, aus der Zeit, in der wir in Nepal lebten.
Schreibe einen Kommentar