Wir wollen uns alle verbessern. Die Wohnung, den Job, die Kenntnisse, den Lifestyle. Auch ganze Länder wollen sich verbessern. Dann reden wir von Entwickeln und diejenigen, die sich schon ein wenig verbessert haben, die machen Entwicklungshilfe.
Ebenso in den Firmen: man bezahlt Berater, damit sie einen helfen, die Abläufe oder Strukturen, den Gewinn oder das Image zu verbessern.
Der Wunsch nach Verbesserung, scheint dem Menschen in die Wiege gelegt zu sein. Deshalb ist so viel los in der Geschichte der Menschheit. Und heutzutage sind die technischen Verbesserungen dran.
Weil wir das äußere Verbessern so gut können, wollen wir natürlich auch uns selber verbessern. Zum Beispiel unseren Charakter. Dazu buchen wir vielleicht einen Kommunikationslehrgang oder einen Rhetorik Kurs. Aber danach merkt man, dass man zwar eine Fähigkeit mehr erworben hat, aber anders geworden ist man nicht wirklich. Dann gehen wir vielleicht zum Psychiater – und werden auch nicht besser. Vielleicht ist einfach der eine oder andere Knoten aus der frühesten Kindheit etwas bewusster.
Wir wollen alle etwas werden. Etwas Besseres. Grösseres. Jüngeres. Schöneres.
Das ist gut. Aber das, was besser, grösser oder hübscher wird, sind nicht wir.
Sondern nur irgend ein Merkmal.
Verbessern können wir sichtbare Fähigkeiten, Fertigkeiten, Umstände, aber nicht uns selber!
Wir selber sind einfach. Ich bin, der ich bin. Du bist, der du bist. Unser Kern, unsere Mitte, die Quelle des Bewusstseins ist gut, so wie sie ist. Dort gibt es keine Zeit, kein Raum, keine Unterschiede, sondern nur entstehendes Leben.
In diesem Bild ist der Wunsch nach Verbesserung verdichtet – zum Beispiel im Sportkletterer. Er wird immer besser. Und doch klingt das Lebenslied durch: du verbesserst nicht Dich, sondern nur Fertigkeiten! ° Mit eigener Kraft / 42cm x 29cm / Acryl&Collage, Metall auf Papier / 2012, N°12-047 |
Was ist Entwickeln – was wickeln wir da auf oder ab?
Guten Morgen Lukas – Neuerdings habe ich einen Kindle, eine segensreiche Einrichtung, wenn man bei Bahnfahrten von und zur Arbeit seinen Lesetrieb befriedigen will. So habe ich heute morgen im Harari gelesen (Die kurze Geschichte der Menscheit ist wirklich empfehlenswert!) und zwar ein Kapitel über den Buddhismus. Harari hat den Kern des B. sehr schön in einem Satz zusammengefasst, der gut zu Deinem heutigen Thema passt: Begehren ist die Ursache des Leidens. „Besser werden zu wollen“ ist eben auch ein Begehren, welches Leiden schafft, weil man nie zufrieden ist. Ich denke, in unserer Gesellschaft müssen wir uns schon entwickeln, um mithalten zu können; aber wir sollten uns darüber im Klaren sein – wie Du auch schreibst – dass wir nur äussere Merkmale entwickeln, die mit unserem Wesenskern nichts zu tun haben. Der ist eben wie und was er ist. Liebe Grüsse für den Tag, Wolfgang
Hallo Lukas,
der Mensch strebt nach Besser, Höher, Weiter. Manche können gar nicht genug bekommen und streben weiter und weiter. Aber Du hast recht: Uns selbst, unseren Charakter können wir nicht verändern. Ich bin zum Beispiel – ich gebe es zu – die Ungeduld in Person. Ich mag es nicht, warten zu müssen. Da gibt es so einzelne Kandidaten in der Familie, die die Ruhe weg haben. Ich weiß es. Immer wieder erwische ich mich dabei, daß ich entweder drängele oder in Unruhe innerlich köchele, weil es eilig wird oder weil ich auf jemanden warten muß, der noch eben in aller Ruhe die Schuhe zubinden, dies oder das suchen muß, oder sonstiges. Und auch den Charakter eines Anderen kann man nicht ändern! Charakter ist etwas Festes!
So, und jetzt habe ich mich festgeredet. Ende.
LG
Annegret
Besten Dank, lieber Wolfgang, für den „Kindle-gepowerten“ Link zur Buddhistischen Sicht! Eine spannende, weiterführende Frage kommt mir dazu in den Sinn: entwicklen wir uns wirklich, oder werden wir entwickelt? Es ist ja das Zentrum, das die Bewegung bewirkt…oder auch die Frage: ist das Problem nicht möglicherweise das „werden wollen“ weil das impliziert, dass wir nicht „sein können“.
Ganz liebe Grüsse, Lukas
Hallo Annegret, vielen Dank für Deine Überlegungen!
Es ist ja ein grosses Rätsel, wieviel von unserem Charakter genetisch bedingt ist (also ziemlich fix) und wieviel durch die persönliche Geschichte (Kindheit) entstand.
Richtig schwierig wird es immer dann, wenn die einen Charaktermerkmale von den Leuten/Religionen mehr geschätzt werden als die anderen! Ist ja eigentlich eine Kritik an der Urkraft – wie wenn man sagen würde, der hektische Hase sei besser als das gemütliche Faultier. 😉 Oder umgekehrt.
Liebe Grüsse, Lukas
Hallo Lukas – Ich lese gerade (u.a.) Ken Wilbers „The Spectrum of Consciousness“, übrigens auch auf dem Kindle 🙂 . Die Idee ist wohl, dass das Bewusstsein als solches zur Gänze vorhanden ist, nur dass wir je nach „Entwicklung“ verschieden hohe Stufen wahrnehmen können. Egal ob individuelles oder kosmisches Bewusstsein – es kann nicht verbessert werden, weil es vollkommen ist, aber wir können unsere Wahrnehmung mit Hilfe eines „Meisters“ (könnte auch ein Buch sein) entwickeln und höhere Stufen oder tiefere Schichten erkennen. Könnte ein Kompromiss sein. Diesen Ansatz findet man auch bei Ouspensky in „Psychologie der möglichen Evolution des Menschen“, der auf Gurdjieffs Gedankengut aufbaut.
Ob wir entwickelt werden? Weiss nicht. Ist die alte Diskussion über die Zielorientierung der Evolution. Verändert werden wir allemal. Vielleicht hilft die Modifikation eines Filmtitels („Gottes Werk und Teufels Beitrag“) in „Werk der Evolution und des Menschen Beitrag“? Liebe Grüsse, Wolfgang
Vielen Dank, Wolfgang, noch mehr Kindle, noch mehr Modelle. Und wo Modelle sind, ist Wilber nicht fern.
Unser Wort „Entwickeln“ verlangt unglücklicherweise nach einem Subjekt. Würden wir „Wachsen“ nehmen, wären die Probleme vom Tisch. Nieder mit der Unterjochung durch die Syntax! 🙂
Liebe Grüsse, Lukas
Hallo Lukas – noch ein Versuch, der Syntax ein Schnippchen zu schlagen: ES entwickelt sich, wobei wir im ES integriert sind 🙂 🙂